Isaak Babel: Neue vollständige, kommentierte deutsche Übersetzung

Am Lehrstuhl für Slavische Literaturwissenschaft des Slavischen Instituts der Universität Heidelberg wird eine neue vollständige, kommentierte deutsche Ausgabe der Werke von Isaak Babel vorbereitet (Prosa, Dramen, Drehbücher, Publizistik & weitere Texte). Sie erscheint unter der Herausgeberschaft von Urs Heftrich und Bettina Kaibach und wurde in enger Abstimmung mit dem 2013 verstorbenen Peter Urban konzipiert. Peter Urbans viel gelobte Übersetzung der Reiterarmee (die wir ebenso wie seine wegweisende Edition von Babels Tagebuch 1920 der Friedenauer Presse verdanken) wird durch Bettina Kaibachs Neuübersetzung von Babels übrigem Œuvre ergänzt. Die mittlerweile abgeschlossene Gesamtausgabe von Babels narrativer Prosa stellt die erste bedeutende Errungenschaft dieses Projekts dar.

Isaak Babel (30.6.1894 – 27.1.1940) ist nicht nur einer der Großen der Weltliteratur, sondern auch eine exemplarische Gestalt der russisch-jüdischen Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert.

In Odessa und Nikolajew im Schatten zaristischer Pogrome aufgewachsen und nicht zuletzt dadurch für die Sache der Revolution gewonnen, erschrieb er sich Weltruhm als „eingebetteter“ Kriegskorrespondent bei Budjonnys roter Reiterarmee. Doch Babels Unvermögen, sich in die vom Regime vorgebenen Schablonen einzufügen, machte ihn Stalin verdächtig. Babels grausiges Ende – Folter und Kopfschuss im Moskauer Gefängnis – markierte noch lange nicht das Ende des Leidens für seine Angehörigen, da der Geheimdienst ihn postum noch fünfzehn Jahre lang im Medium fabrizierter Gerüchte weiterexistieren ließ. Erst das Tauwetter schloss dieses gespenstische Fortleben ab und ermöglichte zugleich die Wiederauferstehung des Tabuisierten für seine Leser. Seither dauert Babels Siegeszug durch die Weltliteratur an: als Meister der Kurzgeschichte vom Range Hemingways, als Schöpfer der mythischen Gangstergestalt Benja Krik, als atmosphärisch getreuer Portraitist des Ostjudentums und als schockierend präziser Schilderer von Extremerfahrungen.

Babel war ein herausragender Stilist, der besessen an seinen Texten feilte: „Jede Erzählung lässt mich um Jahre altern“, bekannte er seinem  Kollegen Konstantin Paustowskij. Die Erzählung „Ljubka Kozak“ durchlief nicht weniger als zweiundzwanzig Vorstufen: zweihundert Manuskriptseiten mit Varianten, die Babel schließlich zu einem fünfzehnseitigen Text kondensierte – und dabei war er noch lange nicht sicher, „ob die zweiundzwanzigste Variante druckreif“ sei. Ein Stück Prosa, so Babels Credo, habe so präzis zu sein „wie eine militärische Meldung oder ein Bankscheck“, ein Vergleich genau „wie ein Rechenschieber und natürlich wie der Geruch des Dills.“ Er rang um jedes Komma und sprach selbst einem geschickt plazierten Absatz epiphanische Wirkung zu: „Kein Eisen vermag mit so glühender Kälte ins menschliche Herz zu dringen wie ein zur rechten Zeit gesetzter Punkt“, heißt es in seiner Erzählung Guy de Maupassant.

Babels Sprache ist unverwechselbar. Äußerste Lakonie verbindet sich mit barocker Pracht. In der Stimmenvielfalt seiner Texte mischt sich der Jargon odessitischer Ganoven mit dem Pathos biblischer Propheten, die nüchterne Knappheit der Reportage mit der ornamentalen Wortfülle lyrischer Dichtung. Mit dem vom Jiddischen und Ukrainischen geprägten Slang der jüdischen Gangster in den Geschichten aus Odessa hat Babel sogar eine eigene Sprache geschaffen, die längst mythische Qualität erlangt hat und bis heute in Liedern und Anekdoten imitiert wird. Immer wieder lässt Babel unterschiedlichste Register aufeinanderprallen und verleiht seinen Texten dadurch einen spezifischen, eben „babelschen“ Rhythmus. Paradoxerweise wirkt seine Prosa, trotz dieser spannungsgeladenen Vielfalt, daher stets „wie aus einem Guss.“ Das bemerkte schon sein Bewunderer Paustowskij. Auf Paustowskijs Frage: „Wie erreichen Sie das?“ gab Babel eine knappe Antwort: „Nur durch den Stil.“

Um diesen Stil zu treffen, bedarf es auch einer Übersetzung aus einem Guss, die den Eigenheiten von Babels Sprache Rechnung trägt. Peter Urban hat diese Herausforderung mit seiner Übersetzung der Reiterarmee auf vorbildliche Weise gemeistert. Bei Babels übriger Prosa hingegen herrscht bislang eine Art babylonischer Verwirrung. An der bislang umfassendsten zweibändigen deutschen Babel-Ausgabe etwa waren nicht weniger als sechzehn (!) Übersetzer unterschiedlichsten Niveaus beteiligt. Dass die spezifische Qualität, die Babels Sprache so unverwechselbar macht, auf diese Weise nicht vermittelt werden kann, liegt auf der Hand. Bettina Kaibachs Neuübersetzung soll diesem Missstand endlich abhelfen – und nicht zuletzt die zahlreichen Ungenauigkeiten und Fehler, die sich in frühere Babel-Übersetzungen eingeschlichen haben, beheben.

Rezensionsexzerpte

Isaak Babel. Mein Taubenschlag. Sämtliche Erzählungen. Herausgegeben von Urs Heftrich und Bettina Kaibach. Übersetzt von Bettina Kaibach und Peter Urban. Hanser, 2014

Isaak Babels Erzählungen sind ein Jahrhundertwerk […] Größtenteils neu übersetzt, sorgfältig editiert und kommentiert, liegen sie nun in einer gültigen deutschen Ausgabe vor. […] Der kürzlich im Hanser Verlag von Bettina Kaibach und Urs Heftrich herausgegebene Band »Mein Taubenschlag« enthält sämtliche Erzählungen Babels sowie einen umfangreichen Anhang, in dem die Texte detailliert mit politischen, kulturgeschichtlichen und historischen Realien kommentiert werden, sowie ein hervorragendes, äußerst aufschlussreiches Nachwort […]. Eine editorische Mammutaufgabe. […] Das Allerwichtigste ist aber sicherlich, dass Bettina Kaibach alle Erzählungen, an deren Übersetzung in der bisher vorliegenden deutschen Ausgabe 16 ganz unterschiedliche Übersetzer beteiligt waren, einheitlich neu übertragen hat. Nur die »Reiterarmee« wurde in der bewährten, Maßstäbe setzenden Übertragung von Peter Urban übernommen. Und eine adäquate Übersetzung von Babels beispielloser Sprache […] stellt eine enorme Herausforderung dar. Das Ergebnis der Arbeit, das all diese Nuancen zu berücksichtigen versucht, ist beeindruckend. […] Isaak Babels Prosa stellt ein Jahrhundertwerk dar und mit »Mein Taubenschlag« liegt nun die verlässliche, gültige deutsche Ausgabe seiner Erzählungen vor, eine eminent gewichtige editorische Leistung.
Deutschlandfunk, Büchermarkt, 7. 5. 2015

Ein Wunderwerk der russischen Erzählkunst ist jetzt in einer neuen und kompletten Ausgabe zu bestaunen: die gesamte Prosa von Isaak Babel [...]. Er brachte es früh zu Weltruhm mit seinen «Geschichten aus Odessa» und dem schreckgetränkten Erzählzyklus «Die Reiterarmee», die auch bald ins Deutsche übersetzt wurden [...] . Doch die zwei berühmten Werke zeigen nur einen Teil von Babels Können, das erst in dieser Neuausgabe und in hervorragenden Übersetzungen ganz sichtbar wird. [...] Explizit erotische Stellen bei Babel wurden schon in der Sowjetunion und noch in DDR-Ausgaben «bereinigt», wie der äusserst kundige Kommentar informiert; nun wurden sie nach Möglichkeit wieder restauriert.
Neue Zürcher Zeitung,  15. 4. 2015

So umfangreich lag Babels Prosa noch nie in deutscher Sprache vor. Und vor allem: noch nie so umfangreich kommentiert. [...] Mit dieser Edition, einem Lebensbuch, wird Babel bleiben.
wina-magazin.at, März 2015

Die exzellente Übersetzung und Kommentierung der „Reiterarmee“ von Peter Urban [...] diente den Herausgebern [...] als Vorbild. Sie haben Urbans Arbeit in ihre Edition übernommen. Alle anderen Texte hat Bettina Kaibach übertragen: Ihre deutsche Version der typischen Babel’schen Lakonie [...], die gebrochen wird durch eine fast schon babylonische Stimmenvielfalt und schockartig aufblitzende Bilder der Gewalt und der Schönheit, ist spektakulär.
Berliner Zeitung, 28. 2. / 1. 3. 2015

... eine vorbildliche deutsche Neuausgabe ...
Die Furche, 29. 1. 2015

In der Gesamtausgabe seiner Werke haben der Herausgeber Urs Heftrich, vor allem aber die Übersetzer Bettina Kaibach und Peter Urban Grosses geleistet. Sie haben das mehrfach von der Zensur verstümmelte Werk philologisch präzise übertragen.
St. Galler Tagblatt, 28. 1. 2015.

Isaak Babel zu lesen ist ein sündiges Vergnügen. Als Übersetzerin knackte Bettina Kaibach harte Nüsse. […] Isaak Babel war getrieben von Neugierde. Er schaute den Damen gerne in die Handtaschen. Er war in seine Texte so vernarrt, dass er sie bis zu 22 Mal korrigierte. Das Übersetzer- und Herausgebergespann hat seine Arbeitswut fortgesetzt.
Rhein-Neckar-Zeitung, 27. 1. 2015.

Isaak Babel in der frischesten Übersetzung, all seine Erzählungen ausgiebig kommentiert. Der Hanser Verlag hat das Seine getan. Werden wir aber, lesend, Isaak Babel genügen?
fixpoetry, 13. 1. 2015

Nun legt der Hanser-Verlag in einem gediegenen Dünndruck-Band das vollständige Erzählwerk Babels vor. Die Übersetzungen stammen von Bettina Kaibach und dem unvergesslichen, 2013 verstorbenen Peter Urban. Ergänzt werden sie durch einen akribischen Stellenkommentar und ein ausgiebiges, blitzgescheites Nachwort von Bettina Kaibach. Wer noch keine Babel-Ausgabe besitzt, tut gut daran, seine zweitbeste Hose für diese Edition in Zahlung zu geben.
Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 11. 1. 2015.

Erst Anfang der 1990er Jahre, als Peter Urban das »Tagebuch 1920« und eine Neuübersetzung der »Reiterarmee« in der Friedenauer Presse herausgab, konnten wir einen Teil des wahren Babel lesen. Der bei Hanser veröffentlichte Band Mein Taubenschlag enthält Urbans Version der Reiterarmee („nach behutsamer Revision in Abstimmung“ mit dem im Dezember 2013 Verstorbenen) und fast fünfzig Übersetzungen von Bettina Kaibach, zu denen neben den Geschichten aus Odessa alle zwischen 1913 und 1938 entstandenen Prosawerke gehören. Textgrundlage ist die russische Gesamtausgabe der Schriften Babelʼs von 2006. Kaibach hat nicht nur frühere Ungenauigkeiten und Fehler korrigiert, ihr ist es auch hervorragend gelungen, Babelʼs Stil und seinen spezifischen Sprachgebrauch […] adäquat zu reproduzieren. Damit liegen zum ersten Mal alle Erzählungen des Schriftstellers in einer optimal vereinheitlichten Sprache und plausiblen zyklischen Anordnung vor – ein Tatbestand, der es ermöglicht, Babelʼ als eine Stimme und in der von ihm gewählten Textgestalt zu rezipieren. Den Herausgebern, die ein ausführliches Nachwort, gründlich recherchierte Kommentare und eine Zeittafel beigesteuert haben, gebührt Dank für das rundum gelungene Buch.
Osteuropa, Jg. 64, H. 11-12/2014, 186-188

Unser Gespräch zeigt vielleicht auch ein bisschen, wie schwierig die Texte auch sind. […] Dafür gibt es dankenswerterweise einen sehr detaillierten, sehr kenntnisreichen Anmerkungsapparat, und es gibt ein wunderbares, präzises, gutes Nachwort von der Übersetzerin Bettina Kaibach. […] 
Schweizer Radio und Fernsehen 2, 52 beste Bücher, 21. 12. 2014
http://www.srf.ch/sendungen/52-beste-buecher/mein-taubenschlag-von-isaak-babel-saemtliche-erzaehlungen

Wie groß war mein Erstaunen jedoch, als ich die übrige und nachgelassene Prosa des Autors in der Übersetzung von Bettina Kaibach, gemeinsam mit Urs Heftrich Herausgeberin der Ausgabe, las! […] Bettina Kaibach schafft das Kunststück, ihre Übersetzungen denen von Peter Urban in einer Art anzunähern, dass das Buch wie aus einem Guss wirkt: Nichts da mit Folklore, sondern bleibende Erzählkunst.
Die Welt, 13. 12. 2014.

Die perfekt übersetzten Geschichten werden manche Winternacht mit Einsichten in die Abgründe des Menschen bereichern.
Tages-Anzeiger, 13. 12. 2014.

Die Schwierigkeiten, die der oft zitierte jüdische Jargon der Übersetzung bereiten könnte, bewältigt Bettina Kaibach perfekt. In ihrer Übertragung verschmilzt er mit dem Hochdeutschen zu einer geschmeidigen Sprache, die Babels Ton, dies Schweben zwischen Schmunzeln und Erschrecken, trifft und die Erzählungen zu einer bannenden Lektüre werden lässt.
Stuttgarter Zeitung, 7. 11. 2014.

Eine übersetzerische Großtat. […] Babel, heißt es im Anhang des von Urs Heftrich und Bettina Kaibach herausgegeben Bandes, trage seinen Namen zurecht: seine Überlieferungsgeschichte sei schlechthin babylonisch. Umso mehr muss man die Leistung des hier vorliegenden Bandes bewundern, der „Sämtliche Erzählungen“ und damit das Gesamtwerk Babels abzüglich der rein journalistischen Arbeiten zusammenführt.
Süddeutsche Zeitung, 28. 11. 2014.

Ein Wunder aus Odessa: Isaak Babels Erzählungen sind Literatur vom Feinsten – abgründig, lakonisch, theatralisch. Jetzt gibt es sie in einer neuen präzisen Übersetzung. […] „Die Reiterarmee“, jenes Werk, das Babel 1926 schlagartig berühmt machte, hatte Peter Urban 1994 in einer vielgelobten, vorbildhaften Neuübersetzung herausgebracht. Dass sie in die neue Ausgabe des Hanser Verlages aufgenommen wurde, lässt sich als Hommage an den kürzlich verstorbenen bedeutenden Übersetzer verstehen. Alle anderen Übersetzungen stammen von Bettina Kaibach, und sie überzeugen durch schneidende Präzision und ein bewundernswertes Gespür für die raffinierte Rhythmik dieser Prosa, für Wortwitz und furchtlose Drastik. […] Oft hat das Erzählen eine erotische Dimension, es beruht auf jener „Verführung durch Stil“, von der das exzellente Nachwort Bettina Kaibachs spricht.  
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 11. 2014.