Die Entwicklungen und Ereignisse des Ersten Weltkriegs führten zu einem schlagartigen Ansteigen privater Selbstzeugnisse, d.h. Ego-Dokumente wie Familienkorrespondenzen, Kriegstagebücher, Tagebücher und Memoiren. Insbesondere um den Kontakt zur Familie zu erhalten, aber auch um ihren eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, sahen sich sowohl Soldaten als auch daheimgebliebene Angehörige zum Schreiben veranlasst; darunter auch diejenigen, in deren Alltag die Praxis des Schreibens sonst eine untergeordnete Rolle spielte.

Im Rahmen der Hundertjahrfeier des Ersten Weltkriegs waren diese Ego-Dokumente erstmals Gegenstand umfassender institutioneller Datenerhebungen (z.B. Grande Collecte 2013) und stellen damit neuartige Archive dar, deren wissenschaftliche Untersuchung noch aussteht.

Das Korpus Egoling14-18 umfasst sieben Tagebücher und etwa 720 Briefe und Postkarten in französischer Sprache sowie 160 deutschsprachige Briefe und Postkarten. Die Gesamtzahl der im Projektkorpus enthaltenen Wörter der Ego-dokumente beläuft sich auf etwa 287.000 Wörter.

Ziel des Projekts Egoling14-18 ist es, diese Korpora für die Forschung zugänglich zu machen sowie die Schreibpraktiken während des Krieges in den Ego-Dokumenten einfacher französischer, in Auszügen auch deutscher Schreiber, zu analysieren. Die Heidelberger Projektgruppe konzentriert sich auf die deutsch-französischen Grenzräume, der Untersuchungsraum erstreckt sich ausgehend von Elsass-Lothringen bis Nordfrankreich; die Forschungsgruppe Corpus 14 indes beschäftigt sich vorwiegend mit Selbstzeugnissen aus Südfrankreich der Départements Hérault und Ardèche und einigen Texten aus dem Département Ain.

Innerhalb des Projekts sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Praxis des Schreibens, in der Darstellung des Alltags, wie auch im Ausdruck von Emotionen erarbeitet werden. Die Arbeitshypothese geht dabei von einer gemeinsamen sprachlichen Erfahrungswelt der weniger privilegierten Gesellschaftsschichten aus. Der Ansatz der historischen Diskursanalyse und Soziolinguistik erfasst diese Ego-Dokumente als persönliche Schriften, die sich durch die Zugehörigkeit zu einer Textgattung auszeichnen, bestimmte diskursive Routinen befolgen und einen spezifischen Stil aufweisen.

Die erwarteten Forschungsergebnisse befinden sich an der Schnittstelle sprachwissenschaftlicher und historischer Forschung. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive gibt die Analyse der Charakteristika dieser Texte Aufschluss über die Typologie der Ego-Dokumente von weniger gebildeten und weniger routinierten Schreibern sowie über die Sprach- und Diskursgeschichte. Mit der angewandten Methodologie wird darüber hinaus die Weiterentwicklung der computerbasierten Verarbeitung von Korpora angestrebt. Die Aufbereitung der Selbstzeugnisse für die Integration in das bereits bestehende Corpus 14 (http://praxiling.hypotheses.org/category/projet-corpus-14) basiert zunächst auf der Digitalisierung der erhobenen Daten und ihrer diplomatischen Transliteration. Die Bearbeitung und Enkodierung gemäß den Standards der TEI (Text Encoding Initiative) ermöglicht eine morphosyntaktische und diskurspragmatische Annotation der Textdokumente. Durch die Inkorporation in Corpus 14 werden die Texte als synoptische Ausgabe (Transliteration und Faksimile als Bilddatei) dargestellt und anderen Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt. Die Anwendung der Software Textométrie erlaubt gleichzeitig die Durchsicht der nach diversen Metadaten organisierten und morphosyntaktisch annotierten Texte sowie die Durchführung von Untersuchungen zur Lexik, zu Konkordanzen, Kookkurrenzen oder statistischen Klassifizierungen.