Vladimír Holan: Gesammelte Werke. Deutsch-tschechische Ausgabe

Handschrift von Vladimír Holans ›Stübchen…‹ (© Památník národního písemnictví, Prag)

Handschrift von Vladimír Holans ›Stübchen…‹ (© Památník národního písemnictví, Prag)

Edition von Vladimír Holans ›Stübchen…‹ (Bd. 1, S. 246f.)

Edition von Vladimír Holans ›Stübchen…‹ (Bd. 1, S. 246f.)

 

Es handelt sich um die international erste umfassende zweisprachige Werkausgabe eines der bedeutendsten tschechischen Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts.

Vladimír Holan (16.9.1905 – 31.3.1980) begann seinen dichterischen Weg 1926 im Zeichen der tschechischen Avantgardeströmung des Poetismus – wie sein Freund Jaroslav Seifert, mit dem er lange als ebenbürtiger Kandidat für den Nobelpreis gehandelt wurde. Vom spielerischen Dichtungsverständnis dieser Schule entwickelte er sich jedoch, unter dem Eindruck von Vorbildern wie Mallarmé, Rilke und Valéry, rasch zum prononciertesten Vertreter einer tschechischen poésie pure fort. Die Gedichtsammlungen der 1930er Jahre (Das Wehen; Der Bogen; Stein, kommst du...) brachten seine eigene, unverwechselbare Poetik zur Entfaltung: hinter einer lyrischen Form von trügerischer Klassizität experimentierte er hier, bei zunehmender Schroffheit der Diktion, mit kühnen Metaphern, Neologismen, Sprachdeformationen und gedanklichen Paradoxien. Eine radikale Wende in seinem Schaffen führte die Bedrohung und Okkupation der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland herbei. In großen lyrischen Kompositionen wie September 1938 und Traum, verließ er den Elfenbeinturm des hermetischen Dichters und wurde erst zum leidenschaftlichen Ankläger der nationalen Tragödie, dann zum begeisterten Sänger der Roten Armee, die die Befreiung gebracht hatte (Rotarmisten). Dies nützte ihm nach der Machtergreifung der Kommunisten nur wenig. Obwohl er sich mit dem neuen Regime nicht in offenem Konflikt befand, konnte er in den Jahren 1949-1955 kein einziges Buch veröffentlichen, und bis 1963 wurden aus seiner Feder allenfalls bibliophile Drucke oder limitierte Neuauflagen von früher erschienenen Werken geduldet. Aus der Zeit des Stalinismus, den „grausamsten Jahren [s]eines Lebens“, stammt Holans wohl berühmtester Text: das Poem Nacht mit Hamlet. Das enttäuschte Pathos dessen, der einmal an der Seite der Sowjetunion für die Sache der Menschheit zu kämpfen glaubte, ist in diesem Dialog mit Shakespeares Helden zu reiner Galle geronnen. Mit dem Nahen des Prager Frühlings besserte sich Holans Lage vorübergehend. Seine späten Lyrikbände (Dem Asklepios einen Hahn; Das Vorletzte; Mit Gott?) sind durch eine Vorliebe für die Andeutung und Auslassung bei äußerster Verdichtung der Form charakterisiert, die an die Grenzen der Verständlichkeit führt. Damit bezeichnet das Spätwerk in gewissem Sinn eine Rückkehr zu Holans hermetischen Anfängen.

Mit dem Prager Frühling wurde Holan auch über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt. Übertragungen ins Italienische, Französische, Englische, Schwedische, Spanische, Ungarische, Rumänische – von den außertschechischen slavischen Sprachen ganz zu schweigen – liegen vor. Den Auftakt bildete dabei fast überall die Nacht mit Hamlet, die zuerst (1966) ins Italienische und wenig später (1969) von Reiner Kunze kongenial ins Deutsche gebracht wurde. Franz Wurm trug mit seinen Übersetzungen von Nacht mit Ophelia (1984) und Toskana (1988) weiter dazu bei, Holan im westlichen deutschen Sprachgebiet bekannt zu machen. Dabei zeigte sich Holan in einem ganz bestimmten Profil: vor allem als Schöpfer großer, dissonant-mehrstimmiger Kompositionen in einer tragischen Tonart. Auch Verena Flick betonte in ihrer Auswahl aus Holans Poemen (1980) besonders den Aspekt der Tragik. Ein etwas anderer Holan wurde den Ostdeutschen präsentiert: eine knappe Auswahl von 1985 führt den Antifaschisten und Sänger der Roten Armee vor, der Holan zweifellos auch war.

Handschrift und Edition von Vladimír Holans ›Auferstehung von den Toten‹ (© Památník národního písemnictví, Prag | Bd. 6, S. 299)

Handschrift und Edition von Vladimír Holans ›Auferstehung von den Toten‹ (© Památník národního písemnictví, Prag | Bd. 6, S. 299)

Heute ist es an der Zeit, aus diesen verschiedenen Ansichten ein Gesamtbild des Dichters zusammenzusetzen. Die Gesammelten Werke, 2003 begonnen im Verlag Mutabene, Köln, ab 2009 fortgeführt im Universitätsverlag Winter, Heidelberg, sind auf insgesamt vierzehn Bände angelegt. Der Editionsplan sieht eine Aufteilung der vierzehn Bände auf 9 Lyrik-Bände, 3 Bände mit Holans Poemen und 2 Bände mit seiner Prosa vor. Um den unmittelbaren Vergleich von Original und Übersetzung zu ermöglichen (und die Ausgabe damit auch zitierfähig zu machen), erscheinen alle Bände komplett zweisprachig. Inhaltlich schließt jeder Band ein Nachwort und einen Kommentar ein – eine Aufgabe, die um so anspruchsvoller erscheint, als es bislang noch keine systematisch kommentierte tschechische Holan-Edition gibt. Die meisten der Texte sind außerdem vollständig neu zu übersetzen.

An der Übertragung von Holans Gesamtwerk beteiligen sich bedeutende Dichter wie Reiner Kunze und Franz Wurm, erfahrene Lyrikübersetzer wie Urs Heftrich, Dr. Bettina Kaibach, Kristina Kallert und Dr. Věra Koubová sowie junge Talente wie Viktoria Funk-Nešić.

Als Seitentriebe gehen aus der Holan-Edition verschiedene weitere Projekte hervor:

1. Eigens für den Rahmen unserer Edition hat einer der besten Kenner des Dichters, der Prager Bohemist Prof. Dr. Jiří Opelík, eine Biographie und Interpretation von Holans Gesamtwerk verfasst. Die Studie, die 2004 auf tschechisch erschien und mit dem F. X. Šalda-Preis ausgezeichnet wurde, soll in deutscher Übersetzung gewissermaßen den abschließenden fünfzehnten Band der Ausgabe bilden. 

2. Gemeinsam mit dem Freiburger Pianisten Prof. Gilead Mishory wurde eine Reihe von musikalischen Lesungen konzipiert, die Holans lebenslange Inspiration durch das Werk Wolfgang Amadeus Mozarts und Leoš Janáčeks erfahrbar machen. Gegeben wurde das Programm im Lyrik Kabinett München und bei der Goethe Gesellschaft Wuppertal, eine weitere Aufführung in Heidelberg befindet sich in Vorbereitung.

3. Am Slavischen Institut Heidelberg wurden bereits eine Magisterarbeit und eine Masterarbeit zu Holan verfasst; eine Dissertation nähert sich ihrer Fertigstellung.

Pressestimmen

Interviews, Pressemitteilungen:
http://transstar-europa.com/urs-heftrich
http://www.uni-heidelberg.de/presse/unispiegel/us08-4/poes.html

Rezensionsexzerpte:

Band 2

Dass ein solches Editionsprojekt in der heutigen Verlagslandschaft überhaupt noch angegangen und auf diesem allerhöchsten Niveau durchgehalten wird, ist angesichts von Holas sperriger Ästhetik fast schon unglaublich, wenngleich man dafür ohnehin einen erstklassigen Kenner und Philologen und sicher auch Überzeugungsarbeiter wie Urs Heftrich benötigt. Was wir für den großen Einsatz bekommen, ist unendlich viel: einen Jahrhundertdichter, der sein schlimmes Säkulum mit großartigen Zeilen adelte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.3.2013

Juwel für Literaturfreunde […]. Diese ehrgeizige Unternehmung, die den Literaturwissenschaftlern Urs Heftrich und Michael Špirit zu verdanken ist, steht für eine hohe herausgeberische Sorgfalt. Ein kundig aufbereiteter wissenschaftlicher Apparat, der in den beiden tschechischen Holan-Gesamtausgaben übrigens nicht vorhanden ist, macht diese Bände zu einem bibliophilen Ereignis. Der Leser ist mit dieser Form der Vermittlung des hochdifferenzierten Werkes von Vladimír Holan in besten Händen.
Prager Zeitung, 7.3.2013

Band 6

Seit einigen Jahren gibt der Heidelberger Slawist Urs Heftrich gemeinsam mit seinem Prager Kollegen Michael Špirit eine zweisprachige Werkausgabe des eminenten tschechischen Lyrikers Vladimír Holan (1905–1980) heraus. Der neuste Band dieses exquisiten Editionsprojekts präsentiert nun in sorgfältiger Übersetzung und Kommentierung jene Gedichte, die in finsterer Zeit entstanden sind: Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte der Tschechoslowakei nicht die Befreiung, sondern nur eine neuerliche Okkupation durch ein von Stalin oktroyiertes kommunistisches Regime.
Neue Zürcher Zeitung, 8.1.2011

Von Holans vielschichtigem Werk ist leider viel zu wenig auf Deutsch erschienen. Urs Heftrich kann man nicht genug dafür danken, dass er sich immer wieder für die tschechische Literatur einsetzt. Die von ihm betreute zweisprachige Gesamtausgabe, deren sechster Band nun vorliegt, ist ein Musterbeispiel, wie auch schwierige Texte nicht nur übertragen, sondern auch kenntnisreich und einfühlsam kommentiert werden können. Zusammen mit Michael Špirit hat Heftrich drei Lyrikbände Holans, „Wein“, „Angst“, „Schmerz“, in einem Band zusammengefasst.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.2010

Seit Jahrzehnten hat der Heidelberger Slavist Urs Heftrich immer wieder auf Vladimír Holan (1905-1980) hingewiesen. In Michael Špirit hat er einen engagierten Mitstreiter gefunden. Zusammen stehen sie für die gewaltige Herausforderung ein, eine deutsche Ausgabe der Gesammelten Werke von Vladimír Holan auf den Weg zu bringen. [...] Eine wesentliche Besonderheit dieser deutschen Holan-Ausgabe ist der wissenschaftliche Kommentar, der in den tschechischen Holan-Ausgaben fehlt. [...] In ihrem fundierten Nachwort unterzieht Viktoria Funk-Nešić die komplizierte Holansche Lyrik einer kritischen Sichtung und kommt zu einer griffigen Einschätzung ...
Germanoslavica 21, Nr. 1-2, 2010, 237-239

... die erfreulichen Übertragungen von Viktoria Funk-Nešić, in Zusammenarbeit mit dem Herausgeber Urs Heftrich (Heidelberg) erstellt, geben einen guten Einblick in die dichterische Welt Holans der Jahre 1949-54/55, in eine Zeit also, da der Dichter de facto keine Publikation veröffentlichte rescpective veröffentlichen konnte [...]. [...] Die gut edierte und kommentierte, formschöne, gestalterisch leicht veränderte und ab dem 6ten Band vom Universitätsverlag Winter in Heidelberg weiter geführte bilinguale Edition der Gesammelten Werke Holans erschließt einen der großen tschechischen Dichter des 20sten Jahrhunderts im deutschen Sprachraum – ein Unterfangen, dessen Ausrichtung zu begrüßen und dessen Fortführung hin zur editorischen Zielstellung einer dann vorliegenden 14bändigen Ausgabe nur zu wünschen ist.
REZENSIONENwelt, X.2009

Band 1

In dem nun erschienenen ersten Band der Gesamtausgabe in dem kleinen Mutabene Verlag in Köln versammeln die beiden Herausgeber Urs Heftrich und Michael Spirit die drei ersten Lyrik-Bände, die Holan veröffentlicht hat [...] Die Gesamtausgabe der Werke von Vladimir Holan ist von den Herausgebern bis in das Jahr 2029 geplant, und sie wird noch viele Überraschungen für den Leser bereithalten. [...] Kein anderer Lyriker, nicht einmal der Nobelpreisträger Seifert, hat so musikalische Gedichte geschrieben wie Vladimir Holan.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.6.2006

Der Slawist Urs Heftrich hat Holans schwierige frühe Lyrik in ein makelloses Deutsch übertragen und damit eine wichtige Vermittlungsarbeit geleistet: Viel zu lange hat sich Westeuropa in der Illusion gewiegt, dass radikal moderne Lyrik nur in den vertrauten Kulturzentren Paris, Berlin und London geschrieben worden sei. Die Schätze der osteuropäischen Literatur liegen offen zutage, sie müssen nur gehoben werden.
Neue Zürcher Zeitung, 15.4.2006

Das Mammutprojekt ist dem Heidelberger Slawisten Urs Heftrich zu verdanken, der zusammen mit dem tschechischen Bohemisten Michael Spirit erstmals vollständig in einer Fremdsprache das Gesamtwerk des Tschechen zugänglich macht.
Deutschlandradio Kultur, 13.2.2006

Zum 100sten Geburtstag Holans erschien 2005 der erste Band der Lyrik (gleichzeitig der numerisch erste Band) der Gesammelten Werke in einer profunden Übertragung des Heidelberger Slawisten Urs Heftrich [...]. [D]ie 16 Jahre, die Heftrich auf den im Vorab genannten ersten Band der vorliegenden Gesammelten Werke verwandte, [haben sich] ausgezahlt, das bemerkt die Leserin/ der Leser bei einer intensiveren Wahrnehmung der Gedichte: ein philologisch genauer Blick für die Eigenheiten der Diktion Holans, die Art der Wiedergabe dieser im Deutschen und die seitens des Übersetzers fein wiedergegebenen Sprachspiele Holans zeichnen die Übertragung aus. [...] Der Dichter, den Jaroslav Seifert (1901-86,  Nobelpreisträger von 1984) mit „von uns damals der beste Dichter“ apostrophierte und den Jirí Gruša (geb. 1938) „zu den wenigen, für die es selbst in der Weltliteratur kein Pendant gibt“ rechnet, hat in der verdienstvollen Ausgabe des Mutabene Verlages, der in den heutigen Zeitläuften Glück zu wünschen bleibt, eine gute Heimat in der Fremde gefunden.
lyrikwelt.de, 01/2006

In einer beispielslosen Hingabe an den Wort- und Bildzauberer Holan bereitet der in Heidelberg lehrende Slavist Urs Heftrich eine Gesamtausgabe im Kölner Mutabene Verlag vor [...]. Sie verlangt nicht nur eine profunde Kenntnis der sprachlichen Nuancen im Tschechischen, sondern auch ein großes Einfühlungsvermögen in die zum Teil kryptische Innenwelt Holans. [...] [E]ine eindrucksvolle Einführung in Holans sprachliche Magie – auch wenn Heftrich zugeben musste, dass sich bestimmte Gedichte dem reinen Verstehen entziehen, weil sie Bilder enthalten, die nur auf Lautfolgen des Tschechischen aufbauen und deshalb von der Musikalität allein leben. Dennoch gelingt es dem Slavisten in seiner akribischen Nachdichtung, Holans Sprachzauber gerecht zu werden.
Rhein-Neckar-Zeitung, 17./18.12.2005

Vladimír Holan, dem wohl größten tschechischen Dichter des 20. Jahrhunderts, wird in seinem Jubiläumsjahr ein verdienstvolles Denkmal gesetzt. [...]Der neu erschienene Band belegt die intensive Beschäftigung des Übersetzers und Literaturwissenschaftlers Urs Heftrich mit der Dichtung Vladimír Holans. Heftrich hat sein slavistisches Leben lang an der Übertragung dieser Gedichte gefeilt und getüftelt. Seine zusammen mit Michael Špirit mitgelieferte Kommentierung ist mustergültig, zumal nicht einmal die tschechische Gesamtausgabe über einen kommentierenden Apparat verfügt. Das Projekt der beiden Herausgeber, die Gesamtausgabe des Schaffens von Vladimír Holan in deutscher Übersetzung vorzulegen, überschreitet marktübliche Vorhaben - der letzte der auf 15 Bände angelegten Edition ist für das Jahr 2029 vorgesehen.
literaturkritik.de, Oktober 2005

Urs Heftrich, Mitherausgeber und Übersetzer des Bands, lässt die Ausrede von der Unübersetzbarkeit gereimter Lyrik nicht gelten – seine Übertragungen erreichen die Qualität von Nachdichtungen, ohne sich deren Freiheiten herauszunehmen. Wer das Tschechische beherrscht, wird besondere Freude an der deutschen Ausgabe haben - denn sie liefert das tschechische Original jeweils auf der linken Seite mit.
Deutschlandradio, Büchermarkt, 13.9.2005

Band 8

Ein eindringliches Nachwort von Urs Heftrich bietet überraschende Zugänge und Interpretationshilfen zu Holans Poemen. Michael Špirits Kommentarapparat zeugt ebenfalls von langjähriger Beschäftigung mit Vladimír Holans Dichtung. Dieser Kommentar unterstreicht die Bedeutung dieser deutschen Ausgabe der „Gesammelten Werke“, zumal es bislang noch keine kommentierte tschechische Holan-Ausgabe gibt. [...] Die beiden Herausgeber Urs Heftrich und Michael Špirit haben sich mit diesem Projekt eine gewaltige Bürde aufgeschultert, die über Jahrzehnte abzuarbeiten sein wird. [...] Mit diesem ersten erschienenen Buch, dem Band 8 der „Gesammelten Werke“, liegt bereits ein unverrückbarer Meilenstein in der deutsch-tschechischen Literaturvermittlung vor.
Passauer Pegasus. Zeitschrift für Literatur, 2004, Jg. 22, Heft 41, S. 109‑110.